Sojalismus
Einstieg
Soja ist ein weltweites Netzwerk, ein System, das die Welt miteinander verbindet, das weit voneinander entfernte Orte und verschiedene Wirtschafts- und Lebensweisen in ein Verhältnis zueinander setzt. Mit Soja wird zum einen die Makrostruktur deutlich, die sich in den weltumspannenden Agrar- und Vertriebsunternehmen wie auch über Transport und Logistik die globalen Zusammenhänge zeigt. Und zum anderen wird sichtbar, wie sehr diese große Struktur auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene in unseren Alltag hineinspielt. Mit Soja lassen sich globale Prozesse darstellen, aber auch Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten aufzeigen. Diese sind an Umweltfragen ebenso festzumachen wie an Fragen von sozialer Zugehörigkeit oder Geschlechtszuschreibungen, an Unterschieden zwischen Stadt und Land oder an der geographischen bzw. ethnischen „Verortung“.
2018 ist der Dokumentarfilm „Soyalism“ erschienen, dessen Titel zu diesem Abschnitt der Ausstellung inspiriert hat. In dem Film werden die globalen Zusammenhänge in der Fleisch- und Agrarindustrie sowie die Machtkonzentration globaler Unternehmen anhand von Soja dargestellt. Über die globale Schweinefutterproduktion sind so beispielsweise China, Brasilien, die USA und Mosambik eng miteinander verbunden.
Wege, Waren, Märkte
Soja ist ein wesentlicher Faktor im globalen Agrarrohstoffhandel, in der Agrarindustrie und im System der Agrarinvestitionen. Diese dicht verwobenen Soja-Netzwerke haben wirtschaftliche, politische und auch ökologische Auswirkungen und erzeugen Abhängigkeiten. Das System reicht bis in unsere Alltage hinein und lenkt die Aufmerksamkeit zusehends auf globale oder regionale Lieferketten. Mit Soja ergeben sich neue geographische Dimensionierungen, die nah und fern, lokal, regional und global in neue Verhältnisse zueinander setzen.
Soja wird – wie andere Ölsaaten – in großem Stil über den Wasserweg transportiert. Pflanzenölraffinieren finden sich in den großen Häfen der ex- und importierenden Länder. Unterschiedliche Bedingungen, wie etwa die sehr trockenen Sommer der letzten Jahre, können den Transport zu Binnenhäfen erschweren. Dann muss verstärkt auf den Transport über Schiene und Straße umgestiegen werden. Der Klimawandel hat also nicht nur Einfluss auf den Anbau, sondern auch auf Soja-Transport und Soja-Logistik – global, europaweit und auch regional. Einer der wichtigsten Häfen ist der von Rotterdam, an den große Lagerstätten und Raffinerien von internationalen Lebensmittelkonzernen (z.B. Unilever) angegliedert sind.
„Soya“ wurde ab 1908 nach Deutschland importiert, als infolge von Missernten und Leinsamenknappheit ein Ölmangel in Europa eintrat. Die 1916 gegründete Hansa-Mühle in Hamburg, die ursprünglich als Versuchsmühle für Sojaextraktion gegründet worden war, verwandte den Soja-Boom dieser Jahre darauf, mit Soja und daraus gewonnenen Produkten zur Etablierung und Popularisierung von „Künstlicher Kost“ beizutragen sowie Sojaextraktionsschrot als Futtermittel zu vermarkten und zu vertreiben.
Auch der größte private österreichische Futtermittelanbieter Fixkraft liegt am Wasser, konkret im Ennshafen, wo sich Donau und Enns treffen, unweit des Zugknotenpunktes St. Valentin und der Autobahn A1. Fixkraft positioniert sich am Futtermittelmarkt und wirbt mit dem Slogan „Gesundes Tier, gesunder Mensch“. Die Firma betont verantwortungsvolle Tierfütterung, Lebensmittelsicherheit und Klimabewusstsein.
Zusammen mit Weizen und Mais gehört Soja zu den drei wichtigsten landwirtschaftlichen Rohstoffen des Welthandels. Dieser wird von den sogenannten ABCD-Agrarkonzernen dominiert (Archer Daniels Midland [ADM], Bunge, Cargill und die Louis Dreyfus Company), die in den USA und in Amsterdam ihre Sitze haben. Der chinesische Staatsbetrieb COFCO hat in den letzten Jahren allerdings stark aufgeholt. Die Konzerne besitzen Hochseeschiffe, Häfen, Eisenbahnen, Raffinerien, Silos, Ölmühlen und Fabriken.
Soja ist ein wesentlicher Bestandteil der EU-Eiweißstrategie. Bei dieser geht es darum, den Selbstversorgungsgrad an Pflanzenproteinen für den Lebens- und Futtermittelsektor innerhalb der EU zu erhöhen und damit von globalen Importen unabhängiger zu werden. Für Soja liegt der Selbstversorgungsgrad derzeit um die 5%. Die EU-Haupterzeugungsländer sind gegenwärtig Italien, Frankreich und Rumänien, Österreich steht an fünfter Stelle. Wie sich die neu erstellte Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU in den nächsten Jahren auswirken wird bzw. welche Schwerpunkte gesetzt werden, wird auch hinsichtlich Soja interessant.
In internationalen Handelsverträgen stellt Soja einen relevanten Verhandlungsfaktor dar. Aktuell etwa im Vertrag zwischen der EU und dem südamerikanischen Mercardo Comun del Sur (Mercosur), also mit den Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Diese vier Staaten sind unter den globalen Soja-Spitzenproduktionsländern; Soja (fast ausschließlich genmanipuliert) und Sojaschrot sind in diesem Vertrag das wichtigste Handelsgut, das z.B. mit EU-Produkten wie Autos oder Milchprodukten abgetauscht werden soll. Im Fokus der Kritik an diesem Vertrag steht neben dem Schutz der eigenen Landwirtschaft inzwischen vor allem die Klimakrise.
Der Anbau von Soja als Tierfuttermittel hat besonders in den Amerikas große klimakritische Fußabdrücke hinterlassen. Der Soja-Boom geht jedoch weiter und es stehen nun auch verstärkt die Agrarflächen verschiedener afrikanischer Staaten im Fokus für den Anbau sogenannter „Cash Crops“, also derjenigen Agrarprodukte, die für den globalen Export angebaut werden. Der Aneignung von Agrarflächen gehen immer wieder Vertreibungen oder Landraub voraus, lokale Ökosystem werden nachhaltig verändert und gestört. Doch nicht immer gewinnen Großkonzerne und die Macht des Marktes. So war im Norden von Mosambik in den 2010er Jahren ein großes „Agrobusinessprojekt“ mit dem Namen „ProSavana“ geplant, dem sich eine Initiative von Bäuer*innen erfolgreich entgegenstellte.
Lebensmittel und Lebensstile
Ernährung kann als eine wichtige Praxis und als ein Marker der Distinktion betrachtet werden. „Du bist, was du isst“ ist eine höchst kulturanalytische Feststellung, denn was wir essen, ist immer auch ein gesellschaftlicher Code. Welche Erzählungen stecken also hinter dem Konsum von Soja? Wie in Anbetracht der Komplexität von Soja nicht anders zu erwarten: viele verschiedene. Durch Soja zeigen sich Unterschiede und Widersprüche in Ernährungs- und Konsumweisen. Die massenhaften Importe von Sojaschrot als Tierfutter ermöglichen den Konsum von kostengünstigem Fleisch – auch in großen Mengen. Dem gegenüber steht scheinbar der Konsum biologischer Sojaprodukte von Personen, die sich z.B. mit Tierwohl, Regionalität und Klimafragen beschäftigen. Doch wer hat die Zeit und das Geld, sich damit auseinanderzusetzen? Beschäftigung mit Ernährung ist immer auch eine gesellschaftliche Frage nach Ressourcen und Teilhabemöglichkeiten. Der Konsum von günstigem Fleisch an einem Tag und von einem veganen Sojaburger am anderen Tag schließt sich für viele Konsument*innen nicht unbedingt aus.
Der Markt für Käse- und Fleischersatzprodukte wird immer wichtiger. Immer mehr Unternehmen wollen den Markt für sich erschließen. Insbesondere Flexitarier*innen sind dabei eine wichtige Gruppe von Konsument*innen. Flexitarier*innen schließen den Konsum von tierischen Produkten nicht aus, streben jedoch einen verringerten und bewussteren Konsum von tierischen Lebensmitteln an. Pflanzliche Ersatzprodukte (z.B. Sojaprodukte) sind gerade deshalb so interessant, weil sie eine tierfreie Ernährung versprechen, ohne dass man dabei die Ernährungspraxis grundsätzlich ändern muss. Häufig stehen sie im Supermarkt neben den tierischen Varianten.
Der Fleischkonsum in Österreich ist nach wie vor hoch, aber leicht rückläufig. Der Fleischatlas 2021 zeigt, dass Männer mehr Fleisch konsumieren als Frauen. Besonders hoch ist der Fleischkonsum bei jungen Männern. Außerdem ernähren sich Frauen nach wie vor öfter vegetarisch. Die Verbindung von Fleischkonsum und Männlichkeit scheint somit immer noch dominant. Im Jahr 2019 lag der Schweinefleischkonsum bei 36,4 kg, der Hühnerfleischkonsum bei 12,4 kg und der Rindfleischkonsum bei 11,9 kg pro Jahr und Kopf.
Die Marktstudie „Food for Thought: The Protein Transformation“ prognostiziert den „Peak Meat“, also den Höhepunkt des Fleischkonsums für Europa und Nordamerika für das Jahr 2035 oder früher. Das bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt der Konsum von tierischen Produkten stetig sinken soll.
Franz Anton Brillmayer hebt besonders hervor, dass Ernährung vor allem auch eine Gewohnheitssache ist. Was wir essen und wie wir essen, hat mit Zugehörigkeiten, Erinnerungen und dem Verständnis von uns selbst zu tun – oder ist auch einfach nur eine Selbstverständlichkeit, die Stabilität gibt und nicht hinterfragt werden möchte. Ein Schnitzel mit Soja zu panieren war 1947 womöglich ein notwendiger und folgerichtiger Kompromiss zwischen österreichischer Zugehörigkeit und günstiger Versorgung.
Auf dem SojaFusionEvent in Kooperation mit dem Weltmuseum Wien und dem Verein Soja aus Österreich stellten sich verschiedene Manufakturen aus der Wiener Umgebung vor. So auch „Farmento“, ein Start-up aus Niederösterreich, das u.a. Natto produziert. Die lokale Herstellung eines japanischen Produkts vom Anbau bis zum Endprodukt wird hier zum Teil der Marke. Dies gilt auch für Miso und Sojasauce aus Wien (Wild & Wunder), Edamame aus Deutsch-Wagram (BonaTerra), Tofu (MANUFABA) oder Sojamilch (AND SOY). Wien erweist sich damit – wie andere urbane Zentren – als Innovations- wie auch als Absatzmarkt.
Soja-Spekulationen
Im System Soja zeigen sich unterschiedliche Werte und Wertvorstellungen, die sich im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kontexten und (geographischen wie gesellschaftlichen) Räumen verändern. Zum Abschluss dieses Abschnitts nehmen wir uns die Freiheit, anhand verschiedener Objekte aus den Sammlungen und Beständen des Volkskundemuseum Wien zu „spekulieren“.
Spekulation 1: Soja-Trends – Wertvoll werden
Mit den erwähnten Manufakturen in und rund um Wien rücken diverse Food- und Lebensstiltrends in den Fokus. Bio-Soja ist Trend. Fermentation ist Trend. Regional und lokal sind Trend. Cross Cultural Food ist Trend. Dabei spielen auch Erzählungen über und Zuschreibungen an Soja-Produkte wie Edamame oder Natto mit den Bezeichnungen „exotisch“ und „regional“ zugleich. Weltoffenheit vermengt sich hier mit neuen und alten (erhaltenen, überlieferten, konservierten) Diskursen und Praktiken über Land und Landwirtschaft. Auch der Trend in Supermärkten geht weg vom „Food from Nowhere“, also örtlich nicht zuordenbar produziert, zu „Food from Here“, also beispielsweise aus Österreich (Schermer, 2014), und setzt es damit in Wert.
Spekulation 2: Umwertung
„Regional“ ist in Österreich ein wesentlicher Faktor für Kaufentscheidungen, denn es steht für verlässliche und sichere Qualität und Einhaltung (von europäischen) Standards und Werten. Was bedeutet bei Soja eigentlich regional? Wo liegt diese Region? Während die einen tatsächlich die nähere Umgebung („Food from Here“) meinen, fassen andere regional als national auf. Inzwischen hat sich aber bei Soja „regional“ gerade in großen Anbau- und Vertriebszusammenhängen als bis an die EU-Außengrenzen oder in die Ukraine erweitert und kontrastiert unter dem Schlagwort „europäisch“ vor allem Soja aus Südamerika oder den USA. „Regional“ droht damit ein ebenso relativer Wert wie nachhaltig oder gentechnikfrei zu werden.
Spekulation 3: Erzählung Kornkammer. Wert- und Abschätzung
Ähnlich wie Argentinien („Granary of the World“, s. Leguizamón) versteht sich die Ukraine als Kornkammer bzw. wurde sie von jeweils Machthabenden dazu gemacht. Die fruchtbaren Böden und günstigen Anbaubedingungen erwiesen sich hier als entscheidend. Zunächst waren Teile der heutigen Ukraine die Kornkammer der Donaumonarchie, dann vor allem der Sowjetunion und inzwischen gilt sie als wichtiges Soja-Agrarindustrie-Wachstumsgebiet Europas bzw. der EU. Dabei lassen sich historisch und heute Segmentierungen und Gefälle feststellen: die Landwirtschaft wird von Industrie und Weiterverarbeitung (Veredelung) getrennt, Land von Stadt, Peripherie von Zentrum. Die Kornkammer-Erzählung beinhaltet eine herausgehobene, weil essenziell notwendige Funktion für die Allgemeinheit, gleichzeitig stellt sie aber auch eine Zurücksetzung im Vergleich zu anderen Orten und Produktionssektoren dar. Kornkammern sind auch heute auf Agrarbusiness und Rohstoffexport ausgerichtet und besonders von Landnahmen (Landgrabbing) betroffen (Plank, 2015).
Bereits 1894 hatte Josef Szombathy, der Kustos des Naturhistorischen Museum in Wien, (mit seiner Signatur und eigener Nummerierung 484) ebenfalls das Bild seinem Kollegen Michael Haberlandt und dem Volkskundemuseum geschenkt. Diese Aufnahme trägt die sehr niedrige Inventarnummer „pos28“ und gehört zu den ersten Beständen des Hauses (2/2)
Weiterführendes
Trailer zu „Soyalism“: www.youtube.com
Ernst Langthaler: Ausweitung und Vertiefung. Sojaexpansionen als regionale Schauplätze der Globalisierung. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 2019, Heft 3, S. 115-147: www.journals.univie.ac.at
Ernst Langthaler: Denk.Mal.Global – am Beispiel Soja. Vortrag in Linz 2018: www.youtube.com
Blog-Eintrag zum SojaFusionEvent: www.musojam.blog
Christina Plank: Landgrabbing in der Ukraine. Ukrainische Oligarchen und internationale Investoren. In: B. Englert und B. Gräber (Hg.): Landgrabbing. Globale Kontexte und regionale Fallstudien, VGS 1, S. 25-30: www.fdzgeschichte.univie.ac.at
Markus Schermer: From ‘Food from Nowhere’ to ‘Food from Here’: changing producer – consumer relations in Austria, 2014.
Uwe Spiekermann: Künstliche Kunst: Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute (Umwelt und Gesellschaft, Bd. 17), Göttingen 2018.
Speiseöle und -fetten im Warenverkehr des Hafen Rotterdam: www.portofrotterdam.com
Blog des Futtermittelherstellers Fixkraft: www.fixkraft.at/blog
Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Entwicklung von Pflanzenproteinen in der EU: www.ec.europa.eu
Fleischatlas 2021 von Global2000: www.global2000.at
Studie „Food for Thought. The Protein Transformation“: www.web-asset.bcg.com
Amalia Leguizamón: Seeds of Power. Environmental Injustice and Genetically Modified Soybeans in Argentina, Durham 2020.
Stefano Liberti: Im Norden von Mosambik war das größte Agrobusinessprojekt Afrikas geplant. Doch dann begannen sich die Bauern zu wehren, Le Monde diplomatique 12.7.2018: www.monde-diplomatique.de