Soja historisch
Einstieg
Soja und Volkskundemuseum Wien haben eine mehrfach verwobene Geschichte. Im Zentrum dieser Geschichte stehen neben dem Gebäude des Gartenpalais Schönborn Mitglieder einer österreichischen Gelehrtenfamilie – die Haberlandts. Der Pflanzenzuchtexperte und „Soja-Pionier“ Friedrich Haberlandt (1826-1878) ist der Vater von einem der Gründer des Volkskundemuseums und späteren Direktors Michael Haberlandt (1860-1940) und der Großvater von dessen Sohn und Nachfolger Arthur Haberlandt (1889-1964). Gleichzeitig war der erste Standort der 1872 gegründeten Hochschule für Bodenkultur im Gebäude des heutigen Volkskundemuseum Wien, dem Gartenpalais Schönborn.
Diese drei Generationen verbindet nicht nur ihr Wirken im Gartenpalais Schönborn, sondern auch die Mission, die von ihnen vertretene Wissenschaft als „vaterländische“ bzw. patriotische Aufgabe zu betreiben. Was für Friedrich Haberlandt die Bodenkultur war, war für Michael und Arthur Haberlandt die „Volkskultur“. Von Wien aus richteten sie den Blick aufs Land und suchten nach Optimierungen für die Bevölkerung („Volk“) im Namen des Fortschritts. Sie stellten ihre Arbeit jeweils in den Dienst des herrschenden Regimes: von der Habsburgermonarchie über die Erste (österreichische) Republik bis zum Austrofaschismus und Nationalsozialismus.
Im Archiv des Vereins und des Museums für Volkskunde gibt es ein Schriftstück, das die drei erwähnten Mitglieder der Familie Haberlandt vereint: In diesem „Bericht“ erinnert der damalige Direktor des Museums Arthur Haberlandt (der Enkel) daran, wie das Museum 1917 ins Gartenpalais Schönborn einzog. Mitten im Ersten Weltkrieg nahm Arthurs Vater Michael als erster Direktor jenen Platz im Gebäude ein, an dem bereits der Großvater als Rektor der BOKU gearbeitet hatte. Auch seine „eifervollen“ Verdienste um die Sojabohne werden erwähnt.
Vaterländische Aufgaben
Der 1826 in Bratislava geborene Friedrich Haberlandt war einer der ersten Rektoren der 1872 gegründeten Hochschule für Bodenkultur. Innerhalb der Landwirtschaft sah er sich einer „fortschrittlichen Bewegung“ zugehörig, die sich auch den volkswirtschaftlichen und damit vaterländischen Zielen Österreich-Ungarns verpflichtet fühlte. Gerade den Agrarwissenschaftern und -praktikern sollte es, so Haberlandt, Aufgabe sein, die Ernährung und Versorgung der Bevölkerung durch gezielte und verantwortungsbewusste Auswahl, Anbau und Zucht von bewährten und neuen Culturpflanzen zu sichern. Auf dem Wiener Großereignis des Jahres 1873, der Weltausstellung im Prater, entdeckte er eine Pflanze, die der Monarchie „im Wettstreite“ der „Völker“ verheißungsvoll schien – die Sojabohne. Seine Arbeiten zu Soja haben dazu geführt, dass er nun als österreichischer bzw. europäischer „Soja-Pionier“ bezeichnet und hervorgehoben wird, auch wenn es davor und danach durchaus andere wichtige Meilensteine gegeben hat.
Ein Jahr nach der Eröffnung der Hochschule für Bodenkultur wurde die Wiener Weltausstellung eröffnet. Friedrich Haberlandt war nicht nur beruflich für „den die Bodencultur betreffenden Theil“ der Weltausstellung zuständig, sondern besuchte auch mit seiner Familie mehrmalig das Ausstellungsgelände.
Bereits seit 1875 wurden im Versuchsgarten im 8. Wiener Bezirk Sojabohnen angebaut. 1876 lag der Ertrag bei 12 Kilogramm. Haberlandt sah die Vorteile von Soja darin, dass nicht nur die nördliche Verbreitungsgrenze höher sei als etwa bei Mais, sondern auch Nährwert, Wohlgeschmack, Fruchtbarkeit, Widerstandsfähigkeit (Temperatur, Trockenheit, Schädlinge) oder Anpassungsfähigkeit an klimatische Verhältnisse und Böden für einen verbreiteten Anbau geeignet seien. Die Versuche wurden ab 1877 auf das Gebiet der Habsburgermonarchie und darüber hinaus ausgedehnt; dabei wurden die Medien und auch die Infrastruktur der Monarchie zur Bekanntmachung und Bewerbung des Anbaus genutzt. Die Ergebnisse dieser Versuche wurden 1878 posthum in Haberlandts Buch „Die Sojabohne“ veröffentlicht.
Mitten im Ersten Weltkrieg schrieb der Sohn von Friedrich Haberlandt – Gottlieb Haberlandt – ein Vorwort zu einem Buch, das die Bedeutung von Soja gerade in Kriegs- und Krisenzeiten wieder hervorstellen wollte. Der Botaniker Gottlieb Haberlandt betonte darin die Wichtigkeit einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Eiweiß und Fetten. Er schloss sich der Bewertung des deutschen „Reichsausschuß für Öle und Fette“ an, der die „Sojabohne als Retterin in der Not“ und als kriegsentscheidend einstufte. Leguminosen wie die Sojabohne seien in Anbau und Verarbeitung zu fördern, wie auch der Vergleich zu etwa Russland, Frankreich oder Italien zeige.
Geschmacksfrage
Wie erwähnt sah bereits Friedrich Haberlandt großes Potenzial in der Sojapflanze. Nicht nur bei „Kostversuchen“ in der eigenen Familie, sondern auch an den verschiedenen Anbauorten galt es Vorschläge zur Verarbeitung der Sojabohne zu finden und den Geschmack so zu beeinflussen, dass „ihr Genuss mindestens keine Ueberwindung kostet“. Besonders vielversprechend schien Friedrich Haberlandt für den (mittel)europäischen Gaumen ein Weizengrieß-Sojaschrot-Gericht, das er als „Sojenta“ verbreiten wollte und das er speziell als Proviant für Schiffe und Armee geeignet sah.
Zu Beginn der 1920er Jahre entwickelte der in Budapest geborene Arzt und Lebensmitteltechniker László Berczeller ein Verfahren, das eine nährstoffschonende Entbitterung von Soja ermöglichte. Auf der Basis eines von ihm entwickelten Patentes wurde ab Ende der 1920er Jahre in Schwechat das Sojamehl Edel-Soja produziert und vor allem 1929 intensiv in speziell an „moderne“ (Haus)Frauen gerichteten Zeitschriften beworben.
Vollwertigkeit, Schmackhaftigkeit und Abwechslung – das sollten die drei Leitworte für die Soldatenernährung im Zweiten Weltkrieg sein. Vor allem wurde in der „Wehrkreislehrküche“ aber mit billigen und lange haltbaren Grundstoffen experimentiert und gekocht. In diesem Artikel wird die Geschmacklosigkeit von „Edel-Soja“ als Qualität hervorgehoben: Edel-Soja sollte in Kombination mit „deutschen Gewürzen, wie sie die Wehrmacht zu verwenden pflegt“ die erwünschte Note erhalten.
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde kostengünstige und nahrhafte Ernährung auch in Österreich besonders wichtig. So wie sich Franz Anton Brillmayer um Zucht und Anbau von Soja bemühte, so engagiert war seine Frau Friedl Brillmayer bei der Popularisierung des Kochens mit Soja. In dem mit Henriette Cornides 1948 herausgebrachten Kochbuch zur „Wiener Soja-Küche“ galt es, diese als möglichst unkompliziert darzustellen („die Sache ist gar keine Hexerei“). Wie bereits andere vor ihnen stellten sie Analogien zu bekannten Kochabläufen her. Auch damit sollten relevante Gruppen mit Soja und Sojaprodukten vertraut gemacht werden.
Auch der damals überaus populäre „Radio-Koch“ und Küchenchef Franz Ruhm setzte sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit Ernährung in „schweren Zeiten“ auseinander. Und auch er widmete Soja Aufmerksamkeit, wobei er – im Gegensatz zur Produzent*innen-Familie Brillmayer – weniger eine Soja-Mission als eine zur Krisenbewältigung verfolgte. Für ihn war Sojamehl vor allem hinsichtlich des Nährwertes wichtig, welches dosiert eingesetzt „zum Vorteil der Speisen selbst und unauffällig für den Geschmack“ untergebracht werden könne.
Mosonmagyaróvár
Wir haben im Soja-Projekt unterschiedliche Vermittlungsformate ausprobiert. Auch aus diesem Grund haben wir mit Mitgliedern des Vereins für Volkskunde und Studierende eine Exkursion nach Mosonmagyaróvár (Wieselburg – Ungarisch Altenburg) unternommen. An diesem Ort hatte die spätere Wiener bzw. internationale Geschichte von Soja wie auch die der Familie Haberlandt wichtige Prägungen erfahren. Die Exkursion führte uns über österreichische Soja-Anbaugebiete in Niederösterreich und dem Burgenland und verdeutlichte uns im Dreiländereck Österreich-Slowakei-Ungarn historische ebenso wie aktuelle Zusammenhänge.
Friedrich Haberlandt absolvierte in der höheren landwirtschaftlichen Lehranstalt Ungarisch-Altenburg nicht nur seine Ausbildung, sondern war dort auch als junger Professor angestellt. Er beschäftigte sich in diesen Jahren vor allem mit pflanzenanatomischen und chemischen Untersuchungen zur Maispflanze, wandte sich aber auch bereits den Seidenraupen zu. Die 1818 gegründete Lehranstalt, die 1850 zur landwirthschaftlichen Reichsanstalt aufgewertet wurde, war zu Haberlandts Zeit der wichtigste landwirtschaftliche Ausbildungsort der Habsburgermonarchie. Hier wurden nicht nur Söhne von Großgrundbesitzern und Verwaltungsbeamte ausgebildet, sondern auch landwirtschaftliche Lehrer.
Gottlieb Haberlandt wurde 1854 in Mosonmagyaróvár/Ungarisch-Altenburg als erstes von sechs Kindern geboren. In seinen autobiographischen „Erinnerungen“ schreibt er über seine „Heimat“, wie er seinen Geburtsort bezeichnet. Neben der Schilderung des Ortes als „stattlichen Marktflecken“, umgeben von erlebnis- und erkenntnisreicher Natur, betonte Gottlieb Haberlandt auch die Bedeutung der Lehranstalt für das Geschehen im Ort wie auch in der Umgebung. In Altenburg begeisterte er sich zunächst noch für Zoologie, schwenkte aber später, seinem Vater Friedrich folgend, zu Pflanzen um und wurde Botaniker.
Das Album zeigt die damaligen (deutschsprachigen) Professoren der Lehranstalt. Im Zuge des Österreich-Ungarischen Ausgleichs von 1867 fiel auch die Lehranstalt in ungarisches Gebiet. Damit wurde Ungarisch zur Unterrichtssprache, die deutschsprachigen Professoren verließen die Anstalt. Bei der 1859 in einem Gasthof der Stadt abgehaltenen und von den Angehörigen der Anstalt organisierten Schillerfeier, zeigte sich auch hier das aufkommende (deutsch-)nationale Bewusstsein der Habsburgermonarchie. 1848 unterstützte Haberlandt die Anliegen der Revolution und marschierte mit einem ungarischen Freikorps auf Wien. Dem gehobenen bildungsbürgerlichen Milieu entsprechend seien ihm, so sein Sohn Gottlieb, „Deutschtum und Weltbürgertum“ kein Gegensatz gewesen.
Von der ehemaligen Lehranstalt aus erreicht man in Mosonmagyaróvár über die Friedrich-Haberlandt-Allee das Denkmal für Gottlieb Haberlandt in einem weitläufigen Park. Nahe der Mündung der Leitha in die Donau werden so neben den historischen auch die Zusammenhänge der Post-Donaumonarchie-Ära bewusst. Gerade in Soja-Fragen wird das Donau- und Mitteleuropa-Narrativ des gemeinsamen (Land-)Wirtschaftsraums wieder deutlich – auch wenn in politischen ebenso wie in Fragen des Soja-Anbaus wesentliche Unterschiede bestehen.
Weiterführendes
Friedrich Haberlandt: II: Die landwirtschaftlichen Nutzpflanzen und ihre Produkte. In: Die Bodencultur auf der Wiener Weltausstellung 1873. Wien 1874.
Birgit Johler und Magdalena Puchberger: Wer nutzt Volkskunde? : Perspektiven auf Volkskunde, Museum und Stadt am Beispiel des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien. In: ÖZV 2016, S. 184 ff.: www.volkskundemuseum.at/onlinepublikationen
Joachim Drews: Die ‚Nazi-Bohne‘. Anbau, Verwendung und Auswirkung der Sojabohne im Deutschen Reich und Südosteuropa (1933-1945), 2001.
László Berczeller auf Wikipedia: www.wikipedia.org
Franz Ruhm im Magazin des Wien Museum: www.magazin.wienmuseum.at
Uwe Spiekermann: Künstliche Kost: Ernährung in Deutschland, 1840 bis heute (Umwelt und Gesellschaft, Bd. 17), 2018.
Blog-Eintrag zur Soja-Exkursion nach Mosonmagyaróvár: www.musojam.blog